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27. Februar 2023

Der U-Turn in Hundebegegnungen

Fluch oder Segen?

Du bist mit deinem Hund unterwegs, euch kommt plötzlich ein anderer Hund entgegen und du weißt, dass dein Hund diese Begegnung nicht meistern wird. Also trittst du schnell mit ihm den Rückzug an, drehst um und gehst in die entgegengesetzte Richtung weiter, damit ihr möglichst schnell möglichst weit weg kommt vom anderen Hund. Kommt dir das bekannt vor?
Dieses Muster war lange Teil meines eigenen Handelns in Hundebegegnungen. Gerade auch, weil ich zwei Hunde habe. Denn Pelle möchte häufig gern zum anderen Hund hin, weiß aber in seiner Aufregung oft nicht, wie er das am besten anstellen kann. Und Frida verzichtet herzlich gern auf jeglichen Fremdhundekontakt und kann auch schonmal ordentlich aus der Hose springen, wenn ein Hund ihr zu nahe kommt. Ich kann es also eigentlich nie beiden gleichzeitig recht machen und mein eigener Instinkt schreit dann nur noch: FLUCHT! Jetzt sofort!

Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass genau dieses Muster ein Grund dafür war, dass ich lange nicht wirklich weitergekommen bin beim Begegnungstraining. 
Ziel des Begegnungstrainings sollte sein, dass dein Hund neue Strategien lernt mit Begegnungssituationen umgehen zu können. Wir wünschen uns, dass unser Hund höflich zu anderen Hunden ist, weggeht und nicht aggressiv wird, wenn er keinen Kontakt möchte. Wir wünschen uns einen Hund, der eigenständig gute Entscheidungen trifft. Ein Hund wird aber niemals von selbst in einer Begegnungssituation eine 180°-Drehung machen, außer er hat wirklich große Panik und will nur noch flüchten. Doch genau das machen wir, wenn wir dem oben beschriebenen Muster folgen. 

Ist der U-Turn, der doch so häufig fürs Begegnungstraining empfohlen wird, also gar keine so gute Idee?

Inhalt des Blogartikels

Was ist der U-Turn?

Doch bevor ich näher darauf eingehe, welche Vor- und Nachteile der U-Turn hat und die Frage beantworte, ob er nun gut oder schlecht ist fürs Begegnungstraining, möchte ich kurz erklären, was er überhaupt ist.
Der U-Turn ist ein Bewegungsmuster, das Hunde lernen können. Wie ein “U” machen sie dabei eine 180°-Drehung und laufen in die entgegengesetzte Richtung weiter. Der U-Turn ist also im Prinzip auch eine Art Rückruf oder Rückzug-Signal. Du kannst ihn nutzen, wenn dein Hund sehr zackig auf dem Absatz kehrt machen soll und du mit ihm sehr schnell viel Strecke in die entgegengesetzte Richtung machen möchtest.
Da der U-Turn im Aufbau mit viel Schwung und Spaß verbunden wird, funktioniert er meist ziemlich gut und vor allem schnell. 

Vorteile des U-Turns

Die Vorteile des U-Turn liegen daher eigentlich auf der Hand:

  • Du kannst mit deinem Hund sehr schnell eine Distanzvergrößerung erreichen, ihr kommt also schnell von allen möglichen Auslösern weg.
  • Der U-Turn ist gut als Rückruf nutzbar.
  • Er fördert gute Stimmung bei deinem Hund, da er positiv und mit viel Action aufgebaut wird.
  • Dein Hund bekommt die Möglichkeit ein bisschen Dampf abzulassen, weil er gemeinsam mit dir rennen kann.

 Oft wird als Vorteil des U-Turns auch aufgezählt, dass er als bedürfnisgerechte Belohnung für Hunde mit Angst genutzt werden kann. Doch wenn der Auslöser für die Angst ein Artgenosse sein sollte, sehe ich dies etwas anders. 
Man könnte außerdem denken, dass der eigene Hund sich schneller wieder runterfahren kann, wenn er den anderen Hund schnell aus dem Blick verliert – frei nach dem Motto “aus den Augen – aus dem Sinn”. Aber auch dieser Ansicht würde ich nur bedingt zustimmen.

Nachteile des U-Turns

In Hundebegegnungen birgt der U-Turn einige Gefahren.
Die sehr zackige Bewegung weg vom anderen Hund löst mit großer Wahrscheinlichkeit ein Verfolgen bei diesem aus. Denn das vollständige Abwenden deines Hundes vom Gegenüber kann den anderen Hund enthemmen. Das bedeutet, dass häufig das einzige, was das Gegenüber noch abhält sich zu nähern, die Vorderansicht und meist der direkte Blickkontakt deines Hundes ist. Ist dieser nicht mehr gegeben, hält ihn nicht mehr so viel zurück. Wenn er also frei läuft, ist das Risiko groß, dass er euch hinterherläuft.
Falls der andere Hund an der Leine ist, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass er Lautäußerungen von sich gibt. Denn viele Hunde wollen in einer solchen Situation hinterher. Wenn die Leine ihn dann aber hindert, produziert das Frust und Frust führt häufig zu Lautäußerungen wie fiepsen oder bellen. Diese Lautäußerungen können wiederum die Aufmerksamkeit deines Hundes auf sich ziehen und im blödesten Fall kippt er dann (wieder) in unerwünschtes Verhalten. 

Dein Hund weiß das alles. Er weiß genau, dass das Abwenden vom Gegenüber nicht ungefährlich für ihn selbst ist. Wenn die Ursache für die Begegnungsprobleme deines Hundes also Angst ist, ist es wirklich sehr viel verlangt, dass er den Verursacher seiner Angst aus dem Blick verlieren und den Rücken zukehren soll. Er wird zwar erleichtert sein, wenn er schnell Distanz zum anderen Hund bekommt, aber ihm ist es mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens genauso wichtig, den anderen Hund im Blick zu behalten. Den “Feind” aus dem Blick verlieren kann gefährlich sein, ist aber mindestens verunsichernd.

Wenn dein Hund eigentlich Kontakt zu anderen Hunden haben möchte und er an der Leine auslöst, weil er nicht hin kann, dann ist der U-Turn ebenfalls sehr schwierig für ihn umzusetzen. Denn die Bewegung weg vom anderen Hund ist das genaue Gegenteil seiner Motivation.

Was denn jetzt? Den U-Turn bei Hundebegegnungen nutzen oder nicht?

Meine Antwort: ein klares JEIN!

Der U-Turn kann in Notfallsituationen eine wirklich sinnvolle Management-Maßnahme sein. Wenn dein Hund noch gar nicht wirklich auf dem Schirm hat, dass da ein anderer Hund aufgetaucht ist, du als Mensch die Lage aber sofort überblickst, dann kann der U-Turn sehr hilfreich sein. Ich nutze ihn dann aber wegen der oben aufgezählten Nachteile (Enthemmung des anderen, Verfolgen, Lautäußerungen) nur, wenn der andere Hund noch in größerer Distanz ist. Auch in sehr engen Durchgängen, die nicht gut einsehbar sind und in denen du nicht seitlich ausweichen kannst, ist der U-Turn ein hilfreiches Werkzeug, um schnell umzukehren, bis ihr eine Abzweigung oder einen Sichtschutz erreicht habt. Solche schmalen Durchgänge sollten aber mit einem Hund, der Begegnungsprobleme hat, ohnehin eher die Ausnahme bleiben. Zum Management beim Begegnungstraining gehört auch eine sinnvolle Auswahl der Spaziergehstrecken. Wenn aber zur Traum-Spaziergehstrecke nur ein enger Durchgang führt, dann solltest du mit deinem Hund den U-Turn gut üben und an dieser Stelle häufig praktizieren, wenn kein anderer Hund da ist. 

Beim Training von Direktkontakt oder beim Aufbau neuer Strategien für den Hund mit Begegnungen umzugehen nutze ich den U-Turn gar nicht mehr. Denn er ist nicht funktional für unsere Hunde. Sie sollen ja eine neue Strategie lernen mit Begegnungen klarzukommen und nicht durchweg gefrustet werden. Ich konnte einen deutlichen Unterschied, besonders auch im Erregungslevel meiner Hunde sehen, als ich den U-Turn im Begegnungskontext durch andere Signale ersetzt habe. Sie sind ansprechbarer, reagieren eher und sie können viel besser eigenständig gutes Verhalten zeigen. Dieses gute Verhalten kann ich dann ganz gezielt einfangen und verstärken.

Ganz verschwunden ist der U-Turn bei mir nicht. In den oben beschriebenen Situationen nutze ich ihn teilweise noch zum Management. Und ich muss auch zugeben, dass das einmal von mir gelernte Muster ab und zu zurückkommt, wenn ich gestresst bin oder von einer Situation überrumpelt werde. Dann rutscht mir doch nochmal das ein oder andere “Wir gehen!” raus und wir machen die 180°-Drehung. Hier zeigt sich, dass auch wir Menschen uns viel schwerer damit tun umzulernen als etwas neu zu lernen. Wir fallen halt schnell in alte Verhaltensmuster zurück – genau wie unsere Hunde übrigens auch.

Es gibt aber auch noch eine Möglichkeit den U-Turn in leicht abgewandelter Form gewinnbringend für dein Begegnungstraining zu nutzen. Dafür musst du jedoch den unteren Balken des “U”s  länger ziehen: I___I
Du übst also mit deinem Hund nicht die 180°-Drehung, sondern ein seitliches Weggehen, das dann nach einigen Metern zu einem Umkehren werden kann. Du machst also zwei Mal eine 90°-Drehung. So kann dein Hund nach der ersten Drehung immer noch zum anderen Hund schauen, ist aber schon nicht mehr frontal ausgerichtet. Auch über ein seitliches Weggehen kannst du die Distanz zum anderen Hund größer machen und wenn ihr wirklich ganz weggehen wollt, wird dies aus der Seitwärtsbewegung viel leichter gelingen als mit der 180°-Drehung.
Wenn dein Hund dieses langezogene “U” als Bewegungsmuster lernt, birgt das die Chance, dass er es auch im Freilauf oder an der langen Leine abrufen kann. Wir kommen damit also unserem Ziel, dass unser Hund eigenständig gute Entscheidungen trifft, deutlich näher. 

Wenn du es deinem Hund noch einfacher machen möchtest, übst du mit ihm zunächst das Abwenden an sich. Wenn er lernt, dass er den Blickkontakt kurzzeitig unterbrechen und vielleicht sogar den Kopf für ein paar Zentimeter abwenden kann, dann fällt es ihm noch leichter im nächsten Schritt seitlich wegzugehen. Und vom seitlichen Weggehen könnt ihr dann im Zweifel ganz weggehen.

Das Abwenden und seitliche Weggehen kannst du übrigens auch nutzen um freundliche Annäherung an andere Hunde zu üben. Denn Bögen laufen und Unterbrechungen des Blickkontakts sind höfliches Verhalten in Hundebegegnungen und erhöhen die Chance, dass eine direkte Begegnung von beiden Hunden gut gemeistert werden kann. 

Du willst nicht mehr ständig mit deinem Hund vor anderen Hunden flüchten sondern wieder entspannt spazieren gehen?

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